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29. Juni 2012
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Anger Management, FX

„Anger Management“: Der dreifache Charlie

Der größte Schluckspecht Hollywoods scheint wieder nüchtern: Charlie Sheen, im Herzen eines jeden Serienfans wohl für immer einer der Two and a Half Men, will nach Rausschmiss, Rampensauereien und Rekonvaleszenz an alte Erfolge anknüpfen und meldet sich zurück zum Dienst auf der Mattscheibe. Anger Management heißt seine neue Serie, die lose auf Peter Segals gleichnamigen Kinofilm mit Adam Sandler und Jack Nicholson in den Hauptrollen basiert (in Deutschland: Die Wutprobe). Seit Donnerstagabend ist das Format in den USA exklusiv beim Kabelsender FX zu sehen, die deutschen Rechte an der Serie gingen an VOX. Vorerst zehn Folgen hat FX geordert, bei entsprechendem Publikums-erfolg will man gleich mehrere Staffeln mit insgesamt 90 weiteren Folgen in Auftrag geben. Sollte dieser Fall eintreten, könnte Anger Management für die vollständige Resozialisierung Sheens sorgen und ihn wieder dahin bringen, wo er noch im vergangenen Jahr war: an die amerikanische Sitcom-Spitze.

Um dieses Ziel auch wirklich zu erreichen, wählt Anger Management den sicheren Weg des Bekannten und hält sich nicht mit riskanten Experimenten auf: Sheens neuer Charakter, der ehemalige Baseball-Spieler und heutige Therapeut Dr. Charlie Goodson, ist ein geschiedener Lebemensch, Vater einer pubertierenden Tochter und eigentlich ganz zufrieden mit seinem Leben. In seinem Wohnzimmer hält er Gruppentherapien ab, im Knast analysiert er auf Staatskosten die bösen Jungs und zahlreiche Schlaf- und Sitzgelegenheit teilt er mit Kollegin und Gespielin Dr. Kate Wales, verkörpert von Selma Blair (u.a. Natürlich blond, Super süß und super sexy) – rein platonisch natürlich. Für Wirbel sorgen vor allem Charlies Ex-Frau Jennifer (Shawnee Smith, u.a. Saw I - Saw VI, Becker), deren Liebhaber und seine bisweilen von Zwangsstörungen getriebene Tochter Sam, gespielt von Daniela Bobadilla (u.a. Awake). Erschwerend kommt hinzu, dass er mit Kate nicht nur das Bett, sondern auch die Couch teilt – sie ist seine Therapeutin für die immer wiederkehrenden Wutanfälle, der auch seine Baseball-Karriere anheim fiel. Letzter Rettungsanker ist da oft nur Grace-Star Brett Butler, die eine Kellnerin in Charlies Lieblingsbar spielt.

Diese Charakterkonstellation funktioniert in den ersten beiden Folgen so gut wie sie klassisch und altbewährt ist: Statt Bruder Alan und Neffe Jake in Two and a Half Men gehen in Anger Management eben Ex-Frau Jennifer und Tochter Sam bei Charlie ein und aus, Butlers Kellnerinnen-Charakter und auch die sarkastische Kate scheinen allzu sehr an die Rolle von Haushälterin Berta angelehnt und so mancher Schlagabtausch würde man ebenso den Harper-Brüdern zuschreiben. Und auch Dr. Goodsons Lebenswandel ist dem von Sheen/Harper nicht allzu fern. Das überrascht vor allem deshalb, weil Sheen nach seinem Rauswurf immer wieder die Drehbücher von Two and a Half Men-Autor Chuck Lorre kritisiert hatte, Anger Management narratologisch aber ganz genauso funktioniert wie Lorres Serie – und schluss-endlich jede beliebige andere amerikanische Sitcom: Die Fallhöhe von Dr. Goodson ist im Vergleich zu echten Dramacharakteren durchschnittlich, weil der sich in einem sicheren Umfeld ohne Hindernisse bewegt; die Dramaturgie steuert ohne den Charakter persönlich schädigende Konflikte auf einen Höhepunkt zu, der entweder eine unspektakuläre Konfliktlösung oder einen Orgasmus beinhaltet.

Vertrautes Terrain also für Sheen, der mit Anger Management das Sitcom-Genre weder durch frische Ideen belebt noch revolutioniert. Vielmehr bewegt sich die Serie im sicheren Umfeld von eingespielten Lachern und Schmunzelpointen mit mehr oder wenigen aktuellen Popkulturbezügen und wirkt stellenweise fast antiquiert. Schade, aber für ein finales Urteil, zumal nach den ersten beiden Folgen, reichen diese Makel nicht, denn das Format nutzt sein volles Potential noch gar nicht aus. Da wäre zum Beispiel die Therapiegruppe um Michael Arden (u.a. Bride Wars) als Patrick, Noureen DeWulf (u.a. Hawthorne) als Lacey, Derek Richardson (u.a. Hostel) als Nolan und Barry Corbin (u.a. No Country for Old Men) als Ed, die in Sheens Wohnzimmer gute Komik abliefert, bisher aber viel zu kurz kommt. Oder Kate, deren Charakterzeichnung noch allzu wage ist und die hoffentlich eine glaub-würdige Figurenzeichnung erfährt – genauso wie Tochter Sam, deren Zwangs-störungen nach dem ersten Vorkommen kein Thema mehr waren. Es gibt also noch Spielraum nach oben für Stehaufmännchen Sheen und Anger Management, der hoffentlich genutzt wird, um abseits festgetrampelter Pfade für absurde und neue Unterhaltung zu sorgen – ohne, dass Dr. Goodson wieder in seine altbekannte Sheen-/Harper-Rolle fällt.

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