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03. März 2012
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DSDS, RTL

„DSDS“, 1. Mottoshow: Ein Selbstversuch

In ruhigen Momenten rede ich mir gerne ein, dass ich ein Mensch mit Geschmack bin und es als solcher meine Pflicht ist, schlechtes Fernsehen im Allgemeinen und Deutschland sucht den Superstar im Besonderen zu meiden. Nun ist das mit dem Geschmack aber so eine Sache: Die einen haben ihn, die anderen haben Schrankwände. Und Deutschland sucht den Superstar fällt definitiv in die Rubrik Schrankwand: In die Jahre gekommen, macht das einstige Aushängeschild von RTL nicht mehr allzu viel her, es versperrt hingegen sogar wertvollen Sendeplatz – trotzdem ist das mediale Monstrum in Millionen deutscher Wohnzimmer nicht kleinzukriegen. Komisch, denn ich konnte DSDS auch nach Jahren der Abstinenz kein Showelement abgewinnen, das den Erfolg rechtfertigen würde. Das Bühnenbild und die Produktion, die das Format seit jeher rein äußerlich ausmachen und einst eine bombastische Show suggerierten, stehen mittlerweile im Schatten deutlich besserer Kulissen bei X Factor oder The Voice of Germany, die interessanter, abwechslungsreicher und individueller sind als das erdrückende Blau aus Köln.

Der Unterhaltungswert ist auf den ersten Blick ebenfalls nicht ersichtlich: Die Kandidaten scheinen mehr synthetische Stereotype als echte Charaktere; sie verkörpern in normgerechter Kleidung ihre Rollen wie Statisten und singen nebenbei: Die Positionen der Aufsässiges, des Schwulen, der Schlagfertigen, des Bunten und der Süßen sind flach, beliebig austauschbar und nach spätestens einem Jahr mit neuen Superstar-Anwärtern besetzt, die die vorherigen Gesichter schnell vergessen lassen – eine äußerst kurze Halbwertszeit für angebliche Popstars, für die zehn besten Sänger Deutschlands. Die Jury ist ebenfalls kaum mehr als ein zusammengecasteter Haufen. Kann man über die Kompetenz Bohlens noch streiten, ist Bruce Darnell bloß Lieferant für Lacher und Zitate: Welche Eignung hat schließlich ein Laufstegtrainer und Choreograf, um über die musikalische Zukunft eines Kandidaten zu entscheiden? Dass Natalie Horler in die Jury passt, ist aber unbestritten; niemand in Deutschland hat schließlich dermaßen viel praktische Erfahrung mit rundgelutschtem Mainstream aus der bunten Musikeffektbox und platten Texten wie die Frontfrau von Cascada. My body’s aching / System overload / Temperature’s rising / I’m about to explode.

Und um nichts anderes geht es schließlich: Der Gewinner von DSDS soll Musik verkaufen, möglichst viel Musik für möglichst viel Geld bei kleinstmöglichstem Aufwand. Und unter welchem Namen dieses Geld reinkommt, ist letztendlich egal; RTL ist in der Position, jeden der zehn Kandidaten für kurze Zeit zu einem Star aufzubauen. Doch RTL will nicht jeden zum Star machen, und so wird der Gesang der ungeliebten und noch lange nicht bühnenreifen Kandidaten ungefiltert auf das Publikum losgelassen – während andere Kandidaten von Auto-Tune und der gesamten Trickkiste stimmverändernder Software zu profitieren scheinen. Eine Farce, die durch Moderator Marco Schreyl, schmierig, profillos und kein bisschen charmant, recht eindrücklich unter Beweis gestellt wird: Er hat es während der acht Jahre seiner Tätigkeit bei DSDS nicht geschafft, die immer gleiche Telefonnummer für die Zuschauerabstimmung auswendig zu lernen. Dafür hat RTL es geschafft, bei The Voice of Germany abzuschauen und die Telefonleitungen jetzt bereits am Anfang der Sendung zu öffnen. Das bringt schließlich noch ein bisschen mehr Geld in die Kassen.

DSDS ist mehr denn je ein perfides Kalkulationsgeschäft, das mit den Jahren nur noch schlimmer geworden ist. Vielleicht bin ich aber auch einfach zu alt für sexistische Metaphern und rassistische Witze auf dem Niveau eines 16-Jährigen. Zu alt für den Fremdscham, wenn der dauergrinsende Zotenreißer Bohlen seinen Jurykollegen Bruce Darnell als „längste Praline der Welt“ bezeichnet und Schreyl einem Kandidaten das zweifelhafte Kompliment ausspricht, dass ihm „Millionen bei der Körperpflege gerne mal die Seife reichen“ würden. Für eine billige Anmoderation, die lieber ihre Zuschauer aus „Deutsch-, Öster- und Schweizland“ begrüßt als einen billigen Lacher zu verlieren. Für oberflächliche und vor Belanglosigkeit strotzende Einspielfilmchen. Für Schreyls dramaturgische Urteilsverkündung. Leid tun mir die Kandidaten, die sich diesem Spiel auch nach neun Jahren DSDS immer noch freiwillig aussetzen und nicht wissen, dass sie keine musikalische Zukunft erwartet. Sicher sind auch X Factor und The Voice of Germany nicht das Ultimo im sozialen Umgang mit Kandidaten, aber bei weitem besser produziert, langlebiger und ehrlicher als DSDS. Und dieses Gefühl zu vermitteln ist wichtig, denn es geht bei Castingshows schon lange nicht mehr nur um Musik – aber selten ging es so wenig nicht mehr nur um Musik wie bei Deutschland sucht den Superstar.

Wen es interessiert: Thomas ist in der 1. Mottoshow ausgeschieden. Der Thomas, der in seinem Einspielfilm unter Lachen der Zuschauer konstatierte: „Ich habe meinen freien Willen noch nicht verloren.“ Das wird er jetzt nicht mehr beweisen müssen. Ich freue mich für ihn.