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27. Februar 2012
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RTL, Undercover Boss

„Undercover Boss“: Wenn der Knochen zum Hund kommt

RTL hat wieder exklusive Werbeplätze an führende deutsche Unternehmen vergeben: Sechs Folgen der mittlerweile dritten Staffel der Doku-Soap Undercover Boss platziert der Kölner Quotenkönig jeweils am Montagabend um 21:15 Uhr, direkt im Anschluss an das beliebte und von Zuschauern stark frequentierte Wer wird Millionär?. Der Ansatz: Ein Mitglied der Führungsetage deutschlandweit bekannter Marken wird vom Chef zum Praktikanten degradiert, übt unter anderem Namen, mit falschen Zähnen und Langhaarperücke eine Woche lang die Arbeit einfacher Angestellter aus und erhofft sich dabei Einblick in die Gefühlswelten der Arbeitnehmer und Aufschluss über mögliche Problemquellen innerhalb der Arbeitsstrukturen. Die RTL-Kameras rechtfertigt man mit dem Dreh einer Reportage über Praktika. Löblich, dieses Interesse für Angestellte und deren Anliegen. Uneigennützig aber wohl kaum: Hervorragend in Szene gesetzt werden Produkt und Mitarbeiter, anerkennende Worte verloren über das Betriebsklima und die ausgezeichnete Warenqualität. Ein PR-Coup zur besten Sendezeit also, den bislang unter anderem Eismann, Best Western, TOITOI & DIXI, Joey‘s Pizza und Burger King ergattern konnten.

Ging es in der ersten Staffel im vergangenen Jahr mitunter noch um teils schwerwiegende soziale Probleme (die als dramatische Einzelfälle samt rühmens-werter Entschuldigung seitens der Unternehmen aus der Welt geschafft wurden), hat man das Format mittlerweile so stark verwässert, dass Selbstkritik kein Platz mehr eingeräumt wird. In der Auftaktfolge zur dritten Staffel darf jetzt Kamps im Blitzlicht der RTL-Euphemismen sein Image als führender handwerklicher Bäcker Deutschlands pflegen: Geschäftsführer Jaap Schalken begibt sich als Undercover Boss Nicolas Martens in die hauseigenen Backstuben und Kamps-Filialen Deutschlands, um sein Unternehmen besser kennenzulernen. Dabei trifft er täglich auf Menschen, die ihn anleiten und mit denen er in den Pausen merkwürdig steife Gespräche führt. Was sie denn für Träume hätten. Wie sie sich ihre berufliche Zukunft vorstellten. Welche Probleme es gebe. Und in welcher familiären Situation sie sich befinden würden. Seltsame Fragen, die ein mutmaßlicher Praktikant da an seine temporären und vollkommen fremden Vorgesetzten richtet. Wichtig sind sie allerdings für die Dramaturgie, schließlich erfährt der Zuschauer, dass der Arbeits-platz eines Bäckers heiß ist, die nächtlichen Arbeitszeiten das Sozialleben beein-flussen und der 21-jährige Bäcker Ibrahim aus Berlin noch keinen Führerschein besitzt.

Nein, Sozialkritik abseits derartiger Luxusprobleme wird nicht zugelassen, denn die könnte schließlich auf das Unternehmen zurückgeführt werden. Dass allerdings die Brötchen frisch und das Konzept der Backstuben ganz neu ist, darf zwischen zwei Einsätzen erwähnt werden. Gerne auf Kamps zurückfallen darf auch die Auflösung der Chefmission, für deren Zwecke die für den versteckten Praktikanten ver-antwortlichen Angestellten zu Jaap Schalken zitiert werden. Denn während sich diese schon auf einen Tadel oder Rauswurf gefasst machen, zückt der großzügige Geschäftsführer nur wenig später Gutscheine für Führerschein, Urlaub und Einkauf, als Dankeschön für den Einsatz im Unternehmen. Eine nette Geste für fünf von 5000 Angestellten, die jahrelange soziale Probleme und Überstunden auch nicht wiedergutmachen. Und die Erfahrungen, die Jaap Schalken unbedingt sammeln wollte? Die sind herrlich vorhersehbar: Kamps beschäftigt tolle Angestellte. Und das Unternehmen muss in Zukunft die Kommunikation zwischen Chefetage und Mitarbeitern verbessern. Undifferenzierter könnte ein Fazit gar nicht ausfallen, aber ernsthafte Probleme haben in einem Imagefilm auch nichts verloren – und nichts anderes ist Undercover Boss. Warum RTL das Format ohne entsprechenden Hinweis auf eine Dauerwerbesendung oder Produktplatzierungen ausstrahlen darf, ist rätselhaft.

Undercover Boss, noch fünf Folgen, jeweils montags um 21:15 Uhr auf RTL