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13. April 2012
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Sat.1, The Winner Is...

„The Winner Is…“: Muff von 30 Jahren

Deutsche Fernsehmacher haben ein Problem. Nicht nur speisen sie den gemeinen Zuschauer gerne mit uninspirierter Massenware ab, sie quetschen und komprimieren und recyceln diese Durchschnittsprodukte auch so lange, bis kein Tropfen Leben mehr in ihnen steckt und selbst der genügsamste Zuschauer beim Blick auf den sich stapelnden Müll das Weite sucht. So erging es den Gameshows und den Talkshows in den 90ern, den zahlreichen Kochsendungen und Aus-wandererformaten Anfang des neuen Jahrtausends und so ergeht es gerade den exaltierten Castingshows. Doch weil das deutsche Fernsehen ein wiederkäuender Komposthaufen ist, der in regelmäßigen Abständen bereits verdaute Fernseh-formate auskotzt und den Zuschauern zum Fraß vorwirft, bleibt nichts für ewig verschwunden. Und jetzt, wo Deutschland für Jahre gesättigt ist von all den aus- und rückwandernden Glücksrittern, den Problemfamilien und den singenden, tanzenden, kochenden, sich selbstdarstellenden Talenten, da tauchen sie wieder aus der Versenkung auf – die Gameshows.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen zockt mal modern angehaucht, mal tradiert festgefahren, hat aber auch keinen Quotendruck, ProSieben beschreitet mit Schlag den Raab, Elton vs. Simon und 17 Meter immerhin eindeutig zeitgemäße Pfade und Sat.1 versucht sich an Neuauflagen und Variationen bekannter Formate – mit eher mäßigem Erfolg. Die Zeiten der traditionellen Gameshows sind eben schon lange vorbei. Für Sat.1 ist das aber kein Grund, das manierierte Genre endgültig zu begraben: Die Münchener kombinieren das ausgelutschte Konzept der langatmigen Spieleshow nicht mit neuen Elementen, sondern mit der dahinsiechenden Idee der Castingshow, um – voilà – mit The Winner Is… einen nebulösen Zwitter zu erschaffen. Die erste Talent-Game-Show der Welt tritt an, die Fernsehwelt mit dem Besten beider Genres zu erobern und endlich wieder Freude in deutschen Wohnzimmern zu säen. Damit dieser Plan auch ganz bestimmt aufgeht, hat Sat.1 Traumhochzeit- und Der Millionendeal-Urgestein Linda de Mol aus der Versenkung geholt. Eine gute Wahl, ist doch die reizende Moderatorenlegende de Mol der einzige Bestandteil der Sendung, der den Laden zusammenhält.

Und zusammenzuhalten gibt es so Einiges: In acht Kategorien eingeteilt treten Kinder unter und über 14 Jahren, Solokünstler beider Geschlechter, Menschen über 40 Jahren, Gruppen, Familien und professionelle Musiker im Gesangsduell jeweils gegen einen Kandidaten der eigenen Kategorie an. Musikproduzent Mousse T. und 100 Zuschauer haben jeweils eine Stimme, die sie im Anschluss an beide Auftritte an ihren Favoriten vergeben. Bevor das Juryvotum aufgelöst wird, können die Kontrahenten einen Deal eingehen: Entweder scheiden sie aus dem Wettkampf aus und gewinnen 5000 Euro, oder sie vertrauen auf ihr Können. Geht einer der beiden den Deal ein, kommt der andere automatisch in die nächste Runde; nimmt kein Kandidat das Angebot an, entscheiden die Punkte über Sieg und Niederlage, der Geldpreis steht dem Verlierer dann aber nicht zu. Kritisches Abwägen der eigenen Leistung nebst einer gesunden Portion Selbstvertrauen sind also gefragt, um nicht leer auszugehen. Das Spielchen zieht sich mit mehreren Duellen pro Kategorie über besagte acht Rubriken und mehrere Gewinnstufen, bis im Finale die Gewinner aller Kategorien gegeneinander um eine Million Euro spielen.

So weit, so nett, so langatmig. Ein Duell pro Kategorie füllt bei acht Kategorien immerhin einen ganzen Abend, weil die Kandidaten selbstverständlich samt Familie und Schicksal angereist sind – und beide werden von Sat.1 mit der gleichen Ausführlichkeit bedacht. Ansonsten ist man nicht wählerisch; die Teilnehmerliste liest sich wie das Who‘s Who gescheiterter Castingexistenzen: Von Popstars über X Factor und Deutschland sucht den Superstar bis hin zu The Voice of Germany darf jeder mitmachen, egal ob er sich bei der Konkurrenz oder dem eigenen Sender bereits zum Affen gemacht hat. Dass Deutschland leergecastet ist, beweist dann auch die Kategorie Professionals, in der vergessene One-Hit-Wonder wie George McCrae oder Wonderwall-Sängerin Ela Paul die Haushaltskasse aufzubessern versuchen. Ein Geschmäckle bleibt da nicht aus. Und wer wie Queensberry nicht selbst singt, steht zumindest im Backstage-Bereich und drückt Däumchen – warum ProSiebenSat.1 die erfolglosen Popstars-Häschen ins Rampenlicht rückt, bleibt schleierhaft.

Ansonsten verläuft die Sendung recht ereignislos: Die Zeit des Fremdschämens im Castingpool ist glücklicherweise vorbei, die Kandidaten singen routiniert mehr oder weniger ausgeleierte Popkamellen und freuen sich bei kluger Selbst-einschätzung entweder über Geld oder ihr Weiterkommen. Bei den jungen Kandidaten halten die Eltern Händchen, bei den Volljährigen darf die Familie im Backstage regelmäßig egotäuschend No Deal! in die Kamera schreien. The Winner Is… bietet familienfreundliche Unterhaltung im Talar der großen, glitzernden, pompösen Samtagabendshows der 90er – von Sat.1 dummerweise am Mittwoch- und Freitagabend versendet. In seiner vollendeten Herzlichkeit und Unschuld, maßgeblich beeinflusst und gesteuert von Linda de Mol, kann man von The Winner Is… nicht erwarten, dass es den ungewollten Muff von 30 Jahren Privatfernsehen abzuschütteln vermag. Genauso wenig wie Sat.1 erwarten darf, dass das kaum mitreißende Format den Markt der Gameshows revolutionieren wird. Immerhin ging der Versuch aber nicht ganz in die Hose.

The Winner Is…, immer mittwochs und freitags um 20:15 Uhr auf Sat.1