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24. Februar 2012
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Die Chefin, ZDF

„Die Chefin“: Das ZDF sieht Frau

Über 30 wöchentlich programmierte sowie unregelmäßig ausgestrahlte Kriminalreihen und -serien finden sich derzeit im Programmarchiv des ZDF. Man könnte meinen, das sei Stoff genug für jede nur denkbare Handlungs- und Personenkonstellation. Doch weit gefehlt, denn das ZDF verrennt sich blinden Auges in Gender-Mainstreaming und will ein bisher unbeachtetes Szenario aufgetan haben, das wie folgt beschrieben wird: „Katharina Böhm ist Vera Lanz, Hauptkommissarin in der Münchner Mordkommission und mit ihr beginnt eine neue Zeit: Zum ersten Mal ermittelt eine Frau im ZDF-Freitagskrimi.“ Stefanie Japp als Kommissarin Jana Wagner (Der Kriminalist) und Melanie Marschke als Kriminaloberkommissarin Ina Zimmermann (SOKO Leipzig), zwei Protagonistinnen in aktuellen Krimiserien am Freitagabend freuen sich bestimmt über diese Formulierung, Gesine Cukrowski als Dr. Judith Sommer (Der letzte Zeuge, 1998 – 2007) sowie Saskia Vester als Kriminaloberkommissarin Kristin Bender und Melika Foroutan als Kriminalkommissarin Sylvia Henke (KDD, 2007 – 2009) in bereits beendeten Formaten ganz außen vor gelassen.

Die unglückliche Formulierung beschreibt recht treffend die Misere der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, die ohne akuten Mangel Fernsehen produziert und dann versucht, über die Schiene reformativer Programmpolitik ein Motiv für das eben Produzierte zu finden. Diese Ignoranz trifft nicht nur die Zuschauer, sondern im konkreten Falle der Serie Die Chefin vor allem Katharina Böhm (u.a. Russisch Roulette, legendär: ihre Rolle als Klara in Heidi), die deutlich mehr ist als die erste Ermittlerin im ZDF-Freitagskrimi, als die man sie fälschlich beschreibt. Böhm verkörpert Hauptkommissarin Vera Lanz: Verwitwet, alleinerziehend, erdnusssüchtig und in einer Affäre mit dem verheirateten Staatsanwalt Marc Berger (Stephan Kampwirth, u.a. Contergan) verstrickt, untersucht sie in vorerst vier Folgen Morde im Raum München auf – und versucht den Tod ihres Mannes aufzuklären, der vor vier Jahren als mutmaßlicher Verbrecher erschossen wurde. Ihr zur Seite stehen Hauptkommissar Paul Böhmer (Jürgen Tonkel, u.a. Wer früher stirbt ist länger tot), der ehemalige Partner ihres verstorbenen Mannes, und der in der Auftaktfolge von einem anderen Dezernat gewechselte Jan Trompeter (Stefan Rudolf, u.a. diverse Folgen Tatort). Unerwähnt bleiben kann in Rezensionen über ZDF-Produktionen der Nullerjahre, dass das Team gerne unkonventionell ermittelt, immerhin scheint das die Standardanforderung an Drehbuchautoren zu sein.

Eine weitere sieht offensichtlich eine Komplexitätsreduktion vor, denn anders ist es kaum zu erklären, dass sich der mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Autor Orkun Ertener, Schöpfer der düsteren und dramaturgisch verworrenen KDD-Serie, in langweiliger Whodunit-Manier an einem belanglosen Kriminalfall abarbeitet: Die Journalistikstudentin Kim Landauer, Tochter eines Lokalprominenten, wird tot aufgefunden. Zuvor hatte sie Streit mit ihrem Ex-Freund Florian Koch (Ludwig Blochberger, u.a. Der Vater meiner Schwester), Sohn von Staatssekretär Wilfried Hoch (Alexander Held, u.a. Der Untergang). Reichlich Stereotype und halbgare politische Verwicklungen später wird der Mörder gefunden. Doch wirklich spannend ist erst der Schluss, als Vera Lanz in bester Charlie Crews-Manier vor einer Pinnwand steht, auf der sie Dokumente und Fotos sammelt, die den Tod ihres Mannes aufklären könnten – auch Oberstaatsanwalt Seitz (Martin Umbach, u.a. Antikörper) scheint verdächtig. Genau das ist der Stoff, auf die sich die kommenden Folge hoffentlich konzentrieren, denn belanglose Kriminalfälle bleiben trotz guter Schauspielarbeit belanglos. Und belanglose Freitagskrimis gibt es im ZDF bekanntlich genug – auch solche, in denen Frauen das Wort führen. Einzig die Mitarbeit Orkun Erteners rechtfertigt, der zweiten Folge eine Chance zu geben – vielleicht hat man in Mainz ja doch dazugelernt.

Die Chefin, noch drei Folgen, jeweils freitags um 20:15 Uhr im ZDF