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28. Februar 2013
21 Kommentare

7 Tage Sex, RTL

„7 Tage Sex“: sic(k)!

Wir befinden uns im Jahr 2013 nach Christus. Ganz Deutschland ist von minder-bemittelten Menschen besetzt, die der geschichtsrevisionistischen Propaganda von Gleichberechtigung und Menschenwürde frönen. Ganz Deutschland? Nein! Unbeugsame Filmemacher im fasching-stischen Untergrund hören nicht auf, dem 21. Jahrhundert in Deutschland Widerstand zu leisten. Ihr Ziel ist es, die von der Gesellschaft schamlos aufgeweichten Rollenbilder von Mann und Frau zu reaktivieren. Besonders die Aufklärung über die sträfliche Missachtung männlicher Bedürfnisse und die dreiste Verweigerung deutscher Ehefrauen, ihren sexuellen Pflichten nachzukommen, sind den mutigen Helden eine Herzensangelegenheit. Mit einem gewagten Experiment haben die Aufmüpfigen ihre als Doku-Soap getarnte Gender-Aufklärung 7 Tage Sex deshalb im Hauptprogramm des einzig verbliebenen Senders platziert, der diesem gottverdammten Land noch ein wenig Tradition und Anstand verleiht: Mein RTL.

Da die einwandfrei recherchierte Dokumentation nichts für schwache Nerven ist, warnen die Macher gleich zu Beginn eindringlich: „Zwei Paare und ein revolutionäres Experiment: Eine Woche lang jeden Tag Sex!“ Gewiss keine leichte Kost, doch dramaturgisch wie aufklärerisch eine Perle altdeutscher Filmkunst ab der ersten Sekunde: Spontanzuschauer sind ob der sexuell aufgeladenen Thematik derart gefesselt, dass sie geifernd vor dem Fernsehschirm sitzen bleiben und es ein Leichtes sein sollte, sie über die Rechte von Männern und die sexuellen Pflichten von Frauen aufzuklären.

Da RTL trotz seiner eindeutig traditionalistischen Werte von immer mehr unbedarften Menschen mit Liberalismushintergrund geschaut wird, führen die Macher der mutigen Dokumentation vier Protagonisten ein – ein Angebot für alle, um sich auf einer weniger abstrakten Ebene mit dem sexlosen Schicksal des deutschen Ehemannes identifizieren zu können. Marcel und Nadin sowie Petra und Frank haben sich bereiterklärt, ein Kamerateam in ihr Schlafzimmer blicken zu lassen und versuchen zu erklären, wie Männer ihrer Frauen wieder habhaft werden können. Sie vermitteln den Zuschauern, dass Frauen nur reden wollen und Männer immer geil sind; dass Frauen keinen Spaß an Sex haben und Männer immer geil sind; dass Frauen die volle Verantwortung für die Flaute in deutschen Betten tragen und Männer immer geil sind. Ein spannender Ausgangspunkt.

Die Wurzel allen Übels. © RTL

Let‘s go: Marcel (Barkeeper) und Nadin (Hausfrau und Mutter) sind seit elf Jahren verheiratet, haben drei Kinder und keinen Sex. Sie stehen damit exemplarisch für Millionen deutscher Ehepaare, deren Situation sich nach genauer Analyse auf die Anomalie „Mama ist müde“ zurückführen lässt. 7 Tage Sex dokumentiert diese Form weiblicher Rollenverdrängung plakativ, beispielsweise, als Marcel seiner Ehefrau zwischen die Beine fasst, sie sein großzügiges Vorspiel allerdings abwehrt – „Kopfschmerzen, Abgespanntheit, ,Ich bin fertig‘, ,Der Tag hat mich geschafft‘, ,Die Kinder haben mich wieder geschafft‘“, fasst Marcel die Ausreden seiner Frau zusammen. Es sind solche Momente, in denen die Dokumentation es schafft, dass ganze weibliche Elend in bedrückenden Bildern festzuhalten und der Zuschauer sich ob der Dreistigkeit Nadins in Fremdscham ergeht.

Und auch am nächsten Tag, als Marcel seine Nadin spontan am Herd überrascht, redet sie sich ‘raus: „Erstens sind die Kinder noch wach, zweitens haben wir noch kein Abendbrot gegessen und drittens muss der Tisch noch gedeckt werden.“ Das bisschen Haushalt kann so schlimm nicht sein, und wer das bisschen Haushalt dennoch vorschiebt, kann wohl kaum eine gute Hausfrau und Mutter sein. Punkt. Marcels Leiden geht dem Zuschauer an dieser Stelle direkt ins Herz, doch der Arme weiß sich mittlerweile zu helfen: „Wenn sie mal keine Lust hat, steht mir das WC zur Verfügung.“ Natürlich kann das kein Dauerzustand sein – Nadin muss mithilfe des 7 Tage Sex-Experiments an ihre Rolle als Ehefrau erinnert werden. „Ein Stößchen auf deine Stößchen“, prostet ihm ein Freund zu, der um das Elend weiß. „Die kriegst sieben Mal im Jahr nicht ins Bette.“

Mittendrin statt nur dabei. © RTL

Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht – und filmt: Um möglichst viele Menschen für die Thematik zu sensibilisieren, setzen die Macher auf eine Tagebuchkamera, damit die Zuschauer den Protagonisten auch kurz vor und nach dem geglückten Beischlaf nah sein können. Löblich: Jeder vollzogene Akt wurde in der Postproduktion mit einem Häkchen auf einem Wochenplan honoriert, sodass der Zuschauer immer über das Sexleben der Protagonisten informiert ist. Sieben Tage später steht fest: Auch wenn Nadin zwischendurch einmal über ihre Beziehung reden wollte und sich erdreistete, ihrem Ehemann an seinem freien Tag die Kinder aufs Auge zu drücken, um sich mit einer Freundin zu treffen, kann Marcel befriedigt sein.

Er hat seine Ehefrau mit Pheromon-Spray, sinnlicher Erotik-Fotografie und viel Durchhaltevermögen wieder in die richtige Bahn lenken können. Und soviel sei an dieser Stelle verraten: Auch Frank und Petra merken im Laufe des Experiments, dass Frank mehr Sex braucht und haben das Experiment erfolgreich beendet. Eine ungewöhnliche Art, auf die noch immer vorherrschende Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau hinzuweisen? Sicherlich. Doch macht 7 Tage Sex mehr als deutlich, dass die binäre Geschlechtertrennung keine Option sein kann, sondern Pflicht ist. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Frauen diesem Vorbild folgen und ihren Ehemännern wieder mehr Sex gönnen – ein kathartischer Nebeneffekt ist das Mindeste, was man den mutigen Filmemachern von 7 Tage Sex gönnt. Check!

Check. © RTL

tl;dr
RTL begleitet zwei Paare bei dem Experiment, eine Woche lang jeden Tag Sex zu haben. Mit üblichem Krawall, der obligatorischen Tagebuchkamera und jeder Menge Gender-Klischees geht es den Zuschauern an die Wäsche Grenzen des guten Geschmacks. Dass beide Paare und ihre Kinder mit Vor- und Zunamen genannt werden, ist dabei fast noch das kleinste Übel. Sexistische Aufmerksamkeits-maschinerie, die wieder einmal hervorragend funktioniert und keine noch so kleine Bloßstellung der Kandidaten auslässt.

7 Tage Sex, noch drei weitere Folgen, jeweils mittwochs um 21:15 Uhr auf RTL

26. Februar 2013
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Circus HalliGalli, ProSieben

„Circus HalliGalli“: Mit Netz und doppeltem Boden

Ach, was waren die Vorzeichen doch opulent: Wochenlang rührte ProSieben die ganz große Werbetrommel für seine beiden Neuzugänge Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf und ihre Show Circus HalliGalli – mit Trailern, die von elefantösem Größenwahn, aber auch immanenter Akkuratesse kündeten und fast wie ein Versprechen wirkten. Ein Versprechen, das gebrochen wurde, denn der Premiere von Circus HalliGalli hat der selbstaufgebaute Druck ganz offensichtlich geschadet. Statt mit frischem Konzept einen Neustart bei ProSieben zu wagen, haben Joko und Klaas das altbekannte neoParadise in ein aufgeräumteres und größeres Studio gepresst und ihm einen neuen Namen verpasst.

Ansonsten ist fast alles beim Alten geblieben: Oma Violetta ist genauso wie Paulina und Olli Schulz erneut mit von der Partie und die altbekannte, zwischen Sofa- und Schreibtischtäter differenzierende Sitzordnung wurde zwar seiten-verkehrt, ansonsten aber beibehalten – welch‘ raffinierter Schachzug! Und natürlich darf die in jeder Sendung wechselnde Schrankband wieder zum Playback zappeln. Dass man sich zur Premiere allerdings ausgerechnet Cro einladen musste, der bei neoParadise zumindest gefühlt Dauergast war, zeugt dann auch nicht von großer Innovationsfreude.

Genauso wenig originell geht es im ersten Einspielfilm weiter: Joko und Klaas sind acht Stunden lang auf dem Kölner Karneval unterwegs und müssen in dieser Zeit zu allem Ja sagen – die neoParadise-Reihe Wenn ich Sie wäre und Hollywood lassen grüßen. Und um jede Hoffnung auf Neuerung gleich im Keim zu ersticken, triezen sich Joko und Klaas mit vorbereiteten Gags, statt sich von Karnevalisten Aufgaben stellen zu lassen und der abgehalfterten Selbstkasteiung damit zumindest eine neue Richtung zu geben. Wirkliche Stimmung kommt somit nicht auf, vor allem auch, weil der Einspieler mit zehn Minuten viel zu lang geraten ist. In einem zweiten Einspieler ist Olli Schulz als sein – natürlich – neoParadise-Alter-Ego Charles Schulzkowski zu sehen, wie er auf einer Berlinale-Party versucht, Prominente abzufüllen.

Allen Gästen ist die Anwesenheit des aufdringlichen Circus HalliGalli-Außenreporters nach kurzer Zeit sichtbar unangenehm, zumal es sich Olli Schulz zur Aufgabe macht, seiner Rolle gerecht zu werden, um schlussendlich betrunken und randalierend vor die Tür gesetzt zu werden. Egal, was man von derartiger Anarcho-Comedy halten mag: Erneut ist der Einspieler mit über zehn Minuten Laufzeit viel zu lang geraten und verliert dabei seine Wirkung. Gelungen sind zwei weitere Einspielfilme mit Oliver Pocher, der in bester Fight Club-Reminiszenz vor dem Studio ausharrt und sich von Joko und Klaas abwechselnd anhören muss, dass er nicht in die Sendung gelassen wird. Retten können die Circus HalliGalli aber auch nicht mehr, denn zwischen all den Einspielern ist noch Helge Schneider zu Gast, darf Sido ein Liedchen vom neuen Album trällern, bringen zwei Kleinwüchsige im Tretauto Thüringer Klöße ins Studio und hat Wolfgang Lippert einen Kurzauftritt.

Die für den schnellen, billigen Witz bis ins Kleinste fragmentierte Sendung geht nicht auf, ist weder Talkshow noch Comedy-Brüller, ist kein richtiges neoParadise mehr und enttäuscht dabei trotzdem alle, die auf etwas Neues gehofft hatten. Zu unflexibel kommt Circus HalliGalli daher, um wirklich Spaß zu machen; ist dabei aber zu unstrukturiert, um sich vollständig in der Show verlieren zu können. Hoffen wir, dass Joko und Klaas nach dieser durchwachsenen Premiere Ernst machen und sich in den kommenden Wochen etwas dynamischer und experimentierfreudiger in der selbstgewählten Manege bewegen. Dann aber bitte ohne Wolfgang Lippert.

Circus HalliGalli, montags um 22:15 Uhr auf ProSieben