Die älteste Castingshow Deutschlands kehrt auf die heimischen Mattscheiben zurück, nachdem ProSieben der Bundesrepublik im Jahr 2011 mit einer österreichischen Staffel fremdgegangen ist – wohl auch, weil die Quoten der vergangenen Staffeln schon lange nicht mehr an die Erfolge früherer Jahre heranreichen konnten und mit The Voice of Germany ein deutlich erfolgs-versprechenderes Format debütierte. Das runde Jubiläum von Popstars lässt sich ProSieben aber nicht nehmen und präsentiert die zehnte Staffel mit vielen Veränderungen. Statt Musikexperten sitzen nun ehemalige Popstars-Kandidaten in der Jury: Neben dem unvermeidlichen Detlef Majuskel-Rufzeichen-D! Soost bewerten Lucy Diakovska (1. Staffel, No Angels), Ross Antony (2. Staffel, Bro‘Sis) und Senna Guemmour (5. Staffel, Monrose) die Leistungen der Kandidaten.
Musikalisch kann die neue Popstars-Kandidaten-Jury zwar kleinere und größere Erfolge vorweisen, alle drei Bands wichen inzwischen allerdings „Soloprojekten“ – taff-Beiträgen, einer Dschungelcamp-Teilnahme und Showmoderationen also. Und auch wenn sich die Jury durchaus gut auskennt mit den temporären Höhen und langandauernden Tiefen einer Musikerlaufbahn, hat der Zuschauer das personifizierte Scheitern und damit die Zukunft auch des zukünftigen Gewinners permanent im Blick. Dieser mehr als offensichtliche Denkfehler bei der Jury-Besetzung ist ProSieben entweder nicht bewusst gewesen oder er wurde zugunsten der Dramaturgie großzügig ignoriert: Zu jeder Emotion der Kandidaten findet sich im üppigen Popstars-Archiv ein äquivalenter Moment der Jury-Mitglieder zu Kandidatenzeiten, der eingespielt werden kann. Wozu auf lustige, spannende, traurige Situationen innerhalb der Jury warten, wenn man diese durch halbwegs passende Einspieler einfach suggerieren kann? Eben – und günstig ist es auch.
Doch nicht nur das Jurykonzept ist neu, Popstars kommt zum Jubiläum auch in frischer Optik und mit leicht abgewandeltem Regelwerk daher. Mit einem überarbeiteten On Air Design erscheint das Format deutlich moderner als noch in der vorangegangenen Staffel und nähert sich der gestalterisch starken Konkurrenz an. Das Regelwerk hingegen wurde nur halbherzig überarbeitet: Ein Kandidat braucht statt zwei von drei Ja-Stimmen nun insgesamt acht Jury-Punkte, um in die nächste Runde zu kommen; jedes Jury-Mitglied darf bis zu drei Punkte vergeben. Nette Idee, nervt aber spätestens mit der dritten Patt-Situation, in der ein Kandidat von drei Jury-Mitgliedern insgesamt fünf Punkte eingeheimst hatte und vom vierten Jury-Angehörigen nun drei Punkte braucht, um nicht auszuscheiden. Der nun folgende Ablauf ist so langwierig wie redundant: Nach moralinsaurer Predigt über das Leben, das Universum und den ganzen Rest (D!), abfälligen Zusammen-fassungen der Kandidatenleistung (Senna) oder unter Schluchzen vorgetragenem Ich-meine-es-nur-gut-mit-dir-Geschwätz (Ross) warten alle auf die Punktevergabe.
Bedeutungsschwere Blicke gehen umher, eine gespannte Stille bestimmt den Raum, alle Augen sind auf den noch stimmberechtigten Kollegen gerichtet. Fast erwartet der Zuschauer ein Raunen oder einen Trommelwirbel, wenn das letzte Jury-Mitglied seinen Finger in Zeitlupe über den Touchscreen bewegt, sekunden-lang innehält, um schließlich, endlich, wahrhaftig, jetzt aber wirklich, mit einem kleinen Klick nur, aber unter sichtbar größter emotionaler und körperlicher Anstrengung, seine Punkte vergibt – um sich danach erschöpft und laut seufzend in den Stuhl fallen zu lassen. Hängt die Entscheidung von Senna ab, folgt nach der Vergabe von einem oder zwei Punkten prinzipiell die Relativierung, durch die der Kandidat doch noch in die nächste Runde erreicht. Das ist ein oder zwei mal durchaus amüsant, kommt in der ersten Folge aber am laufenden Band vor und ist auch deshalb unheimlich anstrengend, weil die angestaute Spannung nach der Punktevergabe durch eine fehlende Publikumsreaktion verpufft.
Und nicht nur derartige Bemühungen trüben die Dramaturgie, sondern auch eine generelle narrative Inkonsequenz: Einige Kandidaten werden mit Homestory und O-Ton von Freunden oder der Familie vorgestellt, andere sind nur mit kurzem Steckbrief präsent und wieder andere werden mit einer Handkamera bei der Vorbereitung auf den Auftritt gefilmt – dass diese Einstellung nicht Kandidaten-Cam heißt, ist auch alles. Anfangs greift Popstars außerdem auf für die Sendung ungewohnte Elemente zurück: Immer wieder werden die größten Castingpannen in DSDS-Manier zwischengeblendet. Bis auf die erwähnten Punkteverkrampfungen verläuft die Sendung dann allerdings reichlich unspektakulär weiter; auch die direkt angeschlossenen Recall-Entscheidung, obwohl sang- und klangvoll, verschwindet ohne Publikum in der Bedeutungslosigkeit – da können auch die neuen Mikrofone, mit denen einzelne Stimmen aus dem Quartett herausgezogen werden können, nicht viel retten.
Im Endeffekt mag das neue Konzept der Mutter aller Castingshows, wie D! nicht müde wird zu betonen, nicht so recht greifen. Der Funke springt nicht über, die Show ist nicht rund, die Euphorie der durchaus unterhaltsamen Jury für den Zuschauer kaum nachvollziehbar. Es bleibt zu hoffen, dass die Sendung sich getreu dem Arbeitstitel „Der Weg ist das Ziel“ noch steigert. Übrigens: Statt dem Bände sprechenden Arbeitstitel hat ProSieben die zehnte Staffel dann doch Popstars goes Ibiza genannt – zu mehr Ehrlichkeit war man in München wohl nicht in der Lage.
Popstars goes Ibiza, donnerstags um 20:15 Uhr auf ProSieben