GLOTZE.tv

29. Juni 2012
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Anger Management, FX

„Anger Management“: Der dreifache Charlie

Der größte Schluckspecht Hollywoods scheint wieder nüchtern: Charlie Sheen, im Herzen eines jeden Serienfans wohl für immer einer der Two and a Half Men, will nach Rausschmiss, Rampensauereien und Rekonvaleszenz an alte Erfolge anknüpfen und meldet sich zurück zum Dienst auf der Mattscheibe. Anger Management heißt seine neue Serie, die lose auf Peter Segals gleichnamigen Kinofilm mit Adam Sandler und Jack Nicholson in den Hauptrollen basiert (in Deutschland: Die Wutprobe). Seit Donnerstagabend ist das Format in den USA exklusiv beim Kabelsender FX zu sehen, die deutschen Rechte an der Serie gingen an VOX. Vorerst zehn Folgen hat FX geordert, bei entsprechendem Publikums-erfolg will man gleich mehrere Staffeln mit insgesamt 90 weiteren Folgen in Auftrag geben. Sollte dieser Fall eintreten, könnte Anger Management für die vollständige Resozialisierung Sheens sorgen und ihn wieder dahin bringen, wo er noch im vergangenen Jahr war: an die amerikanische Sitcom-Spitze.

Um dieses Ziel auch wirklich zu erreichen, wählt Anger Management den sicheren Weg des Bekannten und hält sich nicht mit riskanten Experimenten auf: Sheens neuer Charakter, der ehemalige Baseball-Spieler und heutige Therapeut Dr. Charlie Goodson, ist ein geschiedener Lebemensch, Vater einer pubertierenden Tochter und eigentlich ganz zufrieden mit seinem Leben. In seinem Wohnzimmer hält er Gruppentherapien ab, im Knast analysiert er auf Staatskosten die bösen Jungs und zahlreiche Schlaf- und Sitzgelegenheit teilt er mit Kollegin und Gespielin Dr. Kate Wales, verkörpert von Selma Blair (u.a. Natürlich blond, Super süß und super sexy) – rein platonisch natürlich. Für Wirbel sorgen vor allem Charlies Ex-Frau Jennifer (Shawnee Smith, u.a. Saw I - Saw VI, Becker), deren Liebhaber und seine bisweilen von Zwangsstörungen getriebene Tochter Sam, gespielt von Daniela Bobadilla (u.a. Awake). Erschwerend kommt hinzu, dass er mit Kate nicht nur das Bett, sondern auch die Couch teilt – sie ist seine Therapeutin für die immer wiederkehrenden Wutanfälle, der auch seine Baseball-Karriere anheim fiel. Letzter Rettungsanker ist da oft nur Grace-Star Brett Butler, die eine Kellnerin in Charlies Lieblingsbar spielt.

Diese Charakterkonstellation funktioniert in den ersten beiden Folgen so gut wie sie klassisch und altbewährt ist: Statt Bruder Alan und Neffe Jake in Two and a Half Men gehen in Anger Management eben Ex-Frau Jennifer und Tochter Sam bei Charlie ein und aus, Butlers Kellnerinnen-Charakter und auch die sarkastische Kate scheinen allzu sehr an die Rolle von Haushälterin Berta angelehnt und so mancher Schlagabtausch würde man ebenso den Harper-Brüdern zuschreiben. Und auch Dr. Goodsons Lebenswandel ist dem von Sheen/Harper nicht allzu fern. Das überrascht vor allem deshalb, weil Sheen nach seinem Rauswurf immer wieder die Drehbücher von Two and a Half Men-Autor Chuck Lorre kritisiert hatte, Anger Management narratologisch aber ganz genauso funktioniert wie Lorres Serie – und schluss-endlich jede beliebige andere amerikanische Sitcom: Die Fallhöhe von Dr. Goodson ist im Vergleich zu echten Dramacharakteren durchschnittlich, weil der sich in einem sicheren Umfeld ohne Hindernisse bewegt; die Dramaturgie steuert ohne den Charakter persönlich schädigende Konflikte auf einen Höhepunkt zu, der entweder eine unspektakuläre Konfliktlösung oder einen Orgasmus beinhaltet.

Vertrautes Terrain also für Sheen, der mit Anger Management das Sitcom-Genre weder durch frische Ideen belebt noch revolutioniert. Vielmehr bewegt sich die Serie im sicheren Umfeld von eingespielten Lachern und Schmunzelpointen mit mehr oder wenigen aktuellen Popkulturbezügen und wirkt stellenweise fast antiquiert. Schade, aber für ein finales Urteil, zumal nach den ersten beiden Folgen, reichen diese Makel nicht, denn das Format nutzt sein volles Potential noch gar nicht aus. Da wäre zum Beispiel die Therapiegruppe um Michael Arden (u.a. Bride Wars) als Patrick, Noureen DeWulf (u.a. Hawthorne) als Lacey, Derek Richardson (u.a. Hostel) als Nolan und Barry Corbin (u.a. No Country for Old Men) als Ed, die in Sheens Wohnzimmer gute Komik abliefert, bisher aber viel zu kurz kommt. Oder Kate, deren Charakterzeichnung noch allzu wage ist und die hoffentlich eine glaub-würdige Figurenzeichnung erfährt – genauso wie Tochter Sam, deren Zwangs-störungen nach dem ersten Vorkommen kein Thema mehr waren. Es gibt also noch Spielraum nach oben für Stehaufmännchen Sheen und Anger Management, der hoffentlich genutzt wird, um abseits festgetrampelter Pfade für absurde und neue Unterhaltung zu sorgen – ohne, dass Dr. Goodson wieder in seine altbekannte Sheen-/Harper-Rolle fällt.

26. Juni 2012
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Lothar – immer am Ball, VOX

„Lothar – immer am Ball“: Der alte Mann und die Mär

Mit seinen wechselnden Freundinnen und Ehefrauen springt Lothar Matthäus mehrmals im Monat von der BILD-Titelseite in den Prominent-Einspieler und wieder zurück, trägt seine Nase von einer Prominentenansammlung zur nächsten und vermarktet den einst so glanzvollen Fußballernamen samt weniger glanzvollen Phrasendreschereien im eigenen Onlineshop. Genug Baustellen also, an denen man anknüpfen könnte, um die Marke Matthäus reinzuwaschen von üblen Lästereien über Liebespech oder Liebesglück und den beruflichen Niedergang. Doch im Kleinen agiert eine Fußballlegende wie Matthäus schon lange nicht mehr, er will den Imageumschwung im Großen angehen – mittels einer Personality-Doku. Lothar – immer am Ball heißt das Format, das in den kommenden Wochen das erstaunlich klare Bild transportieren soll, das Matthäus von sich selbst hat: „Jung, knackig, gebräunt. [...] Sportlicher Körper, moderner Style, der intensive Blick der Konzentration und Sehnsucht – das passt einfach zu mir“, sinniert der über eine Fotografie seiner selbst gebeugt in der ersten Folge der eigenen Sendung. Diesen echten Lothar soll nun ganz Deutschland kennenlernen, und den anderen, den Boulevard-Lothar mit den wechselnden Frauenbekanntschaften und der gescheiterten Trainerkarriere, schnell vergessen.

Zumindest hatte sich Matthäus das vermutlich so vorgestellt, als er bei VOX den Vertrag für die sechsteilige Doku-Serie über sein Leben unterschrieben hat. Die Rahmenbedingungen passen auch halbwegs: VOX darf sich dafür rühmen, Daniela Katzenberger aus dem Nichts zum Sendergesicht aufgebaut und zahlreichen Privatpersonen über Doku-Formate eine Medienkarriere verschafft zu haben. Und in der quotenschwachen Zeit während der Europameisterschaft passt die Lothar-Leier als Köder für Fußballfans ja auch herrlich ins VOX-Programm. Praktisch spielt das aber alles gar keine Rolle: Weder als Image-Push für den 51-jährigen Matthäus noch als unterhaltsames Vor- oder Nachprogramm für EM-Zuschauer taugt dieser Mix aus Peinlichkeiten und Banalitäten. Immerhin hat VOX das Format auf einen nächtlichen Sendeplatz verschoben, was für Chefredakteur Kai Sturm ein klares Bekenntnis des Senders ist, dass der mit der Qualität des in Auftrag gegebenen Formates nicht zufrieden ist. Und dafür sollte Matthäus dankbar sein, denn Lothar – immer am Ball zeigt wirklich den wahren Lothar, einen der sich dem Sender anbiedert, vollkommen naiv auch intime Details ausplaudert und der nur das Bild vervollkommnet, das der Boulevard über ihn hat. Das Bild eines Mannes, der nie in der Medienrealität angekommen ist.

Zwischen unfreiwilliger Lebenshilfe („Im Supermarkt greift man am besten ganz nicht hinten, dann hat man das Joghurt in der Hand, dass am längsten Haltbarkeit hat.“), nervigen Fußballanekdoten („Franz Beckenbauer hat mir erzählt, dass das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages ist.“), wohl zum Zweck der Identitäts-stiftung eingebrachten Banalitäten und Auskünften über die Regelmäßigkeit des Besuchs seiner Putzfrau verblasst das Bild eines großen Athleten bis zur Fremdscham. Mit Freundin Joanna Tuczynska wird gestritten, Manager Wim Vogel macht sich über die englischen Sprachversuche seines Klienten witzig und Matthäus selbst setzt noch einen drauf, wenn er in fast neurotischer Weise über Linien und Halbkreise auf dem Fußballplatz lamentiert. Er bemerkt nicht, wann distanzierte Selbstdarstellung und wann Ehrlichkeit angebracht sind, er zieht vor der Kamera blank und gibt jedem Spötter genug Material für die nächsten Monate an die Hand. Matthäus, dieser treudoofe Protagonist in einem abgekarteten Spiel, der in Bezug auf die Medien mehr als alle anderen ein gebranntes Kind sein sollte, hat die Mär vom gerechten Unterhaltungsfernsehen wieder einmal geglaubt.

Dass VOX auf seine Kosten, aber nicht für seinen Nutzen arbeitet, hat er offenbar nicht bemerkt: Was Matthäus in den vergangenen Jahren noch nicht alleine geschafft hat, nimmt jetzt seine eigene Sendung in die Hand, die jedem Zuschauer das letzte bisschen Respekt für einen großen Mann des Fußballs nimmt – noch fünf Sendungen stehen an, den Ruf zu ruinieren. Der Weltmeister und Europameister, der mehrfache deutsche und einmalige italienische Meister, der Weltfußballer des Jahres 1991, der aufgenommen wurde in die FIFA-Liste der 125 besten noch lebenden Fußballer der Welt, macht sich klein und zeigt der Nation, wie er verbrannte Frühstückseier mit dem Tortenheber aus der Pfanne kratzt – nur um dazuzugehören. Fast kann er einem leidtun.

Lothar – immer am Ball, sonntags um 23:15 Uhr auf VOX

30. Mai 2012
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push, Sat.1

„push“: Last Woman Laughing

Wenn für namenlose Boulevardsendungen die offensichtliche Namensgebung (Brisant, RTL; Prominent, VOX), offensichtliche Entlehnungen aus dem Englischen (taff, ProSieben) und weniger offensichtliche, aber thematisch-assoziativ gerade noch greifbare Farbadjektive (red, ProSieben) schon vergeben sind, muss man als Produzent eines ebensolchen Formats schonmal kreativ werden. Immerhin bis zum P im Power Dictionary Englisch hielt die Kreativität im Falle von Sat.1 an, dann konnte man den Senderverantwortlichen das Tu-Wort (to) push auf den Konferenz-tisch knallen. (to) push, das klingt irgendwie hipp und gebildet, ohne Arroganz auszustrahlen, ist außerdem Englisch und kann deshalb kleingeschrieben werden, ohne dass Semiotiknazis Kritik üben könnten; es steht im Wörterbuch unter pus (Eiter) und wenn man das eingeklammerte to ignoriert, kann es gleichzeitig auch als Nomen fungieren. Für eine Boulevardsendung ist ein solcher Fund natürlich Gold wert, denn die Kausalität zwischen inhaltsleerem Namen und inhaltsleerer Sendung verspricht rein gar nichts.

Und das kann das neue Magazin push auch halten: Auf den ersten Blick ist Moderatorin Annika Kipp (u.a. Sat.1 Frühstücksfernsehen) so ziemlich alles, was von der zeitweise eingestellten Boulevardsendung Sat.1-Magazin noch geblieben ist. Doch auf den zweiten Blick zeigt sich, dass push auch die fehlende Seriosität, die fehlende inhaltliche Stringenz und das fehlende Alleinstellungsmerkmal im über-füllten Klatsch-und-Tratsch-Dschungel von seinem Vorgänger übernommen hat. Der Rest der Show ist glücklicherweise von der Konkurrenz abgekupfert worden und nicht in den Kompetenzbereich der kreativen Sat.1-Produzenten gefallen – vielleicht wäre das Privatfernsehen sonst implodiert: Das Studio könnte ohne push-Logo auch bei RTL in Köln stehen, die schlechten Sprüche würden auch taff gut zu Gesicht stehen und Kipps überdreht fröhliche Grimassen, mit der sie zuckersüß, aber ohne Grund eine übergelagerte Tonspur visualisiert, machen sie zu einer starken Konkurrenz für die stets in die Kamera lächelnde, aber nur über Off-Kommentare kommunizierende Constanze Rick.

Inhaltlich geht es da schon deutlich origineller zu, denn immerhin lernen die Zuschauer einiges. Zum Beispiel, dass die Befragung von Jugendlichen zu aktuellen Themen (heute: der vor Tagen beendete Eurovision Song Contest; billig: dem ESC trotz 8,29 Millionen Zuschauern seine Relevanz absprechen zu wollen, anstatt sich kritisch mit den Zuständen in Aserbaidschan auseinanderzusetzen), die Suche nach Trends auf Fachmesssen (heute: ein Besuch auf der Beauty International Düsseldorf; nervig: die Reporter kommentieren sich in Interviewszenen selbst; interessante Information, die push dem Zuschauer vorenthält: die Messe ist seit über zwei Monaten beendet) und die Trendsuche generell (heute: das über ein Jahr alte und mit 42 Millionen Klicks bedachte Video Baby Laughing Hysterically at Ripping Paper) nicht zu den Kernkompetenzen von push zählen. Unbezahlbar ist allerdings, dass push sich für einen lächerlichen Beitrag eine Reise in die USA spendieren ließ, um in Heidi Klums Topmodel-Villa zu filmen – da ist Annemarie Warnkross sicher neidvoll vor ihrem Bluescreen versunken. Annika Kipp lacht eben als Letzte. Leider auch als Einzige.

push – Das Sat.1-Magazin, montags bis freitags um 19:30 Uhr

14. April 2012
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Jungen gegen Mädchen, RTL

„Jungen gegen Mädchen“: Die Superpannenshow

Im Schnitt hocken 3,36 Millionen Zuschauer vor den Fernsehgeräten der Bundesrepublik, als jeweils 200 Frauen und Männer nach ihrem biologischen Geschlecht getrennt im Studio einer neuen Gameshow platznehmen, die Frauen eingelullt von rosafarbenem Studiolicht, die Männer durch dominantes Blau in Szene gesetzt. Sie alle sind dem Ruf des heteronormativen Popkulturpatriarchen RTL gefolgt, der zur Revolution der liberalen Geschlechterordnung aufruft und sich Anachronismus in den Teletext geschrieben hat. Angeführt von Joachim Lambi (u.a. durch irgendeine Tätigkeit bei Let‘s Dance bekannt) nehmen Sänger Giovanni Zarrella (u.a. Teilnehmer der herrlich bissigen Beziehungssatire Jana Ina & Giovanni – Pizza, Pasta & Amore) und RTL-Komiker Mirco Nonsens Nontschew (u.a. als frecher Witzbold aufgetreten bei Frei Schnauze und Die dreisten Drei) Haltung vor dem tobenden Meer an Männern an. Rapper Das Bo hat nach dem Ende seiner Jurytätigkeit bei X Factor im vergangenen Jahr wohl irgendwie versäumt, sich von der RTL-Gehaltsliste streichen zu lassen und muss ebenfalls im Team Lambi antreten. Sie alle, die männlichen Zuschauer wie die vier tapferen Krieger, strahlen Härte, Disziplin, Kraft und Mut aus.

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Die tapferen Vier. © RTL

Diese Eigenschaften brauchen sie auch, denn die das vermeintlich „starke Geschlecht“ repräsentierende Frauenmannschaft ist fest entschlossen, sich im ungleichen Kampf gegen die Männer behaupten zu wollen. Lebensmüde treten Teamführerin Mirja Boes (u.a. bekannt dank einer lustigen Stand-Up-Nummer bei TV Total), Moderatorin Johanna Klum (ist ihrem Kollegen Mirco überlegen, weil sie u.a. schon einmal bei Frei Schnauze XXL mitwirkte), Tänzerin Isabel Edvardsson (hat sich einst für den Playboy ausgezogen) und Moderatorin Jana Ina Zarrella (Ehefrau von Giovanni Zarrella) an, um ihrerseits Stärke zu beweisen. Es ist ein hartes Duell zwischen zwei vollkommen verschiedenen Menschentypen, das RTL in einem Anflug von Understatement mit dem ironischen Projektnamen Jungen gegen Mädchen versehen hat. Doch es ist weit mehr als der Kampf zwischen Jungen und Mädchen, es ist nicht weniger als ein Kampf der Geschlechter, bei dem das siegreiche Team je nach Genitalbereich entweder Baumarktgutscheine oder Drogeriegutscheine im Wert der erspielten Summe erhält. Gewiss provokativ, aber eine zeitgemäße Notwendigkeit, schließlich haben viel zu viele Bürger Abstand von der empirisch einwandfrei belegten Wahrheit genommen, dass Männer vor allem Fußball schauen und Frauen am liebsten Schuhe kaufen gehen.

Angespornt von der spannenden monothematischen Ausgangssituation stürzen sich die Männer in die erste Fragerunde, um zu schätzen, ob Frauen lieber mit Hollywood-Schönling Orlando Bloom oder dem ganzen Kerl Daniel Craig ins Bett steigen würden; die Frauen müssen erraten, ob Männer bei einer Frau eher auf Busen oder Hintern abfahren. Auf welcher repräsentativen Umfrage die richtigen Antworten beruhen, wird nicht hinterfragt; das ist aber letztendlich auch egal, denn immerhin beweist RTL den Mut, so offen mit dem heikelsten aller Themen umzugehen. Explosive Situationen sind ebenfalls garantiert, denn das Ehepaar Zarrella nimmt ihre Beziehung mit gekonntem Zynismus auf die Schippe. Die spannende und bis dato unbekannte Konstellation aus unterschiedlichen prominenten Meinungsmachern lässt Jungen gegen Mädchen zu einem wahren Feuerwerk an Komik werden, die bisher keiner anderen RTL-Sendung anhaftete. Herzlich lachen die männlichen und weiblichen Zuschauer beispielsweise über Mirja Boes‘ Vorschlag, Joachim Lambi auf die stille Treppe zu verbannen – eine klassische und niemals ausgelutschte Hommage an Katharina Saalfranks außer-gewöhnliche Milieustudie Die Super Nanny (RTL, 2004 – 2011).

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Giovanni Zarrella verbeugt sich vor dem Manifest der Männlichkeit. © RTL

Doch es nicht alles Comedy, was bei RTL läuft. Auch brutaler Ernst hat seinen wohlverdienten Platz in der Show: Als die vier Männer für ihre 200 männlichen Artgenossen im Publikum und die ganze männliche Bevölkerung Deutschlands in einem finalen Kantersieg Baumarktgutscheine erspielen, erstarrt das plappernde Weibervolk. Die Realisierung, dass Joachim Lambis zu Beginn der Spiele aus-gerufener Spruch „Wir sind die Schöpfung himself“ Recht behalten sollte, trifft sie bis ins Mark. Und ein aufmerksamer Zuschauer mag sogar gehört haben, wie sich eine weibliche Verliererin erdreistet, dem Dogma der männlichen Überlegen-heit zum Trotz festzustellen: „Gute zwei Jahrhunderte Aufklärung für die Tonne.“ Dem möchte man nur entgegen schreien: Geh dir die Nägel lackieren oder Schuhe kaufen! Wir sind hier doch nicht im Kindergarten.

Jungen gegen Mädchen, nächste Folge am 5. Mai 2012 um 23:05 Uhr.

13. April 2012
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Sat.1, The Winner Is...

„The Winner Is…“: Muff von 30 Jahren

Deutsche Fernsehmacher haben ein Problem. Nicht nur speisen sie den gemeinen Zuschauer gerne mit uninspirierter Massenware ab, sie quetschen und komprimieren und recyceln diese Durchschnittsprodukte auch so lange, bis kein Tropfen Leben mehr in ihnen steckt und selbst der genügsamste Zuschauer beim Blick auf den sich stapelnden Müll das Weite sucht. So erging es den Gameshows und den Talkshows in den 90ern, den zahlreichen Kochsendungen und Aus-wandererformaten Anfang des neuen Jahrtausends und so ergeht es gerade den exaltierten Castingshows. Doch weil das deutsche Fernsehen ein wiederkäuender Komposthaufen ist, der in regelmäßigen Abständen bereits verdaute Fernseh-formate auskotzt und den Zuschauern zum Fraß vorwirft, bleibt nichts für ewig verschwunden. Und jetzt, wo Deutschland für Jahre gesättigt ist von all den aus- und rückwandernden Glücksrittern, den Problemfamilien und den singenden, tanzenden, kochenden, sich selbstdarstellenden Talenten, da tauchen sie wieder aus der Versenkung auf – die Gameshows.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen zockt mal modern angehaucht, mal tradiert festgefahren, hat aber auch keinen Quotendruck, ProSieben beschreitet mit Schlag den Raab, Elton vs. Simon und 17 Meter immerhin eindeutig zeitgemäße Pfade und Sat.1 versucht sich an Neuauflagen und Variationen bekannter Formate – mit eher mäßigem Erfolg. Die Zeiten der traditionellen Gameshows sind eben schon lange vorbei. Für Sat.1 ist das aber kein Grund, das manierierte Genre endgültig zu begraben: Die Münchener kombinieren das ausgelutschte Konzept der langatmigen Spieleshow nicht mit neuen Elementen, sondern mit der dahinsiechenden Idee der Castingshow, um – voilà – mit The Winner Is… einen nebulösen Zwitter zu erschaffen. Die erste Talent-Game-Show der Welt tritt an, die Fernsehwelt mit dem Besten beider Genres zu erobern und endlich wieder Freude in deutschen Wohnzimmern zu säen. Damit dieser Plan auch ganz bestimmt aufgeht, hat Sat.1 Traumhochzeit- und Der Millionendeal-Urgestein Linda de Mol aus der Versenkung geholt. Eine gute Wahl, ist doch die reizende Moderatorenlegende de Mol der einzige Bestandteil der Sendung, der den Laden zusammenhält.

Und zusammenzuhalten gibt es so Einiges: In acht Kategorien eingeteilt treten Kinder unter und über 14 Jahren, Solokünstler beider Geschlechter, Menschen über 40 Jahren, Gruppen, Familien und professionelle Musiker im Gesangsduell jeweils gegen einen Kandidaten der eigenen Kategorie an. Musikproduzent Mousse T. und 100 Zuschauer haben jeweils eine Stimme, die sie im Anschluss an beide Auftritte an ihren Favoriten vergeben. Bevor das Juryvotum aufgelöst wird, können die Kontrahenten einen Deal eingehen: Entweder scheiden sie aus dem Wettkampf aus und gewinnen 5000 Euro, oder sie vertrauen auf ihr Können. Geht einer der beiden den Deal ein, kommt der andere automatisch in die nächste Runde; nimmt kein Kandidat das Angebot an, entscheiden die Punkte über Sieg und Niederlage, der Geldpreis steht dem Verlierer dann aber nicht zu. Kritisches Abwägen der eigenen Leistung nebst einer gesunden Portion Selbstvertrauen sind also gefragt, um nicht leer auszugehen. Das Spielchen zieht sich mit mehreren Duellen pro Kategorie über besagte acht Rubriken und mehrere Gewinnstufen, bis im Finale die Gewinner aller Kategorien gegeneinander um eine Million Euro spielen.

So weit, so nett, so langatmig. Ein Duell pro Kategorie füllt bei acht Kategorien immerhin einen ganzen Abend, weil die Kandidaten selbstverständlich samt Familie und Schicksal angereist sind – und beide werden von Sat.1 mit der gleichen Ausführlichkeit bedacht. Ansonsten ist man nicht wählerisch; die Teilnehmerliste liest sich wie das Who‘s Who gescheiterter Castingexistenzen: Von Popstars über X Factor und Deutschland sucht den Superstar bis hin zu The Voice of Germany darf jeder mitmachen, egal ob er sich bei der Konkurrenz oder dem eigenen Sender bereits zum Affen gemacht hat. Dass Deutschland leergecastet ist, beweist dann auch die Kategorie Professionals, in der vergessene One-Hit-Wonder wie George McCrae oder Wonderwall-Sängerin Ela Paul die Haushaltskasse aufzubessern versuchen. Ein Geschmäckle bleibt da nicht aus. Und wer wie Queensberry nicht selbst singt, steht zumindest im Backstage-Bereich und drückt Däumchen – warum ProSiebenSat.1 die erfolglosen Popstars-Häschen ins Rampenlicht rückt, bleibt schleierhaft.

Ansonsten verläuft die Sendung recht ereignislos: Die Zeit des Fremdschämens im Castingpool ist glücklicherweise vorbei, die Kandidaten singen routiniert mehr oder weniger ausgeleierte Popkamellen und freuen sich bei kluger Selbst-einschätzung entweder über Geld oder ihr Weiterkommen. Bei den jungen Kandidaten halten die Eltern Händchen, bei den Volljährigen darf die Familie im Backstage regelmäßig egotäuschend No Deal! in die Kamera schreien. The Winner Is… bietet familienfreundliche Unterhaltung im Talar der großen, glitzernden, pompösen Samtagabendshows der 90er – von Sat.1 dummerweise am Mittwoch- und Freitagabend versendet. In seiner vollendeten Herzlichkeit und Unschuld, maßgeblich beeinflusst und gesteuert von Linda de Mol, kann man von The Winner Is… nicht erwarten, dass es den ungewollten Muff von 30 Jahren Privatfernsehen abzuschütteln vermag. Genauso wenig wie Sat.1 erwarten darf, dass das kaum mitreißende Format den Markt der Gameshows revolutionieren wird. Immerhin ging der Versuch aber nicht ganz in die Hose.

The Winner Is…, immer mittwochs und freitags um 20:15 Uhr auf Sat.1